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Vereinfachtes Denken in der Erziehung als Gefahr humanistischer Werte...
Andreas Renger, Gudrun Schuster:
Humanistische Werte sind uns Menschen nicht angeboren. Leider. Wir erlernen sie im Laufe des Lebens - wenn wir Glück haben. Wenn wir Eltern haben, die sie uns vermitteln. Wenn sie sich einfühlen in Kinderseelen, tolerant sind, wenn sie eine liebevolle Beziehung zu ihren Kindern aufbauen. Wenn sie diese auch dann durchhalten, wenn die schwierige Pubertät kommt. Dann können Menschen nach und nach ein humanes Wertesystem entwickeln, ausdifferenzieren und dementsprechend leben. Doch Globalisierung, Schnelllebigkeit, Rationalisierungsdruck, die Angst um den eigenen Arbeitsplatz scheinen immer mehr Eltern nach einfachen, schnellen Patentlösungen für die Erziehung suchen zu lassen - und sie finden sie auch. Dies zumindest könnte eine Erklärung für die Renaissance jener Erziehungsmodelle sein, die im weiteren Sinne der „schwarzen Pädagogik" zugeordnet werden können. Will heißen, jener Pädagogik die den Willen bricht. Die Psychotherapeuten Gudrun Schuster und Andreas Renger setzen sich aus personzentrierter Sicht mit populären Erziehungsratgebern dieses Charakters auseinander.
Vereinfachtes Denken in der Erziehung gefährdet humanistische Werte
Ein Erziehungsratgeber kam 2008 auf den Markt, der in seiner Auflagenstärke und in seiner Medienaufmerksamkeit nicht nur den Autor überraschte, sondern offenbar auch den Verlag. Der musste im vergangenen Jahr nämlich mehr als zehn Auflagen nachdrucken, um die Nachfrage zu bedienen, die diese Erziehungsstreitschrift auslöste. Es handelt sich um das Buch von Michael Winterhoff: „Warum unsere Kinder Tyrannen werden Oder: Die Abschaffung der Kindheit" Gütersloher Verlagshaus 2008.
Ein Ratgeber im eigentlichen Sinne ist diese Schrift nicht, eher eine äußerst persönliche wissenschaftlich keineswegs fundierte Reflexion über Erziehung. Ein „echter" Ratgeber zu Michael Winterhoffs Gedanken folgte prompt vor wenigen Wochen mit dem aussagekräftigen Titel „Tyrannen müssen nicht sein - Auswege aus der Erziehungskrise". – Dieser „Ratgeber“ macht eine Tendenz deutlich, die die allmählich entwickelten und mühsam in die Gesellschaft integrierten humanistischen und personzentrierten Ideen der letzten Jahrzehnte zu entwerten droht. Eine eingehende Besprechung des Buches haben wir im Internet publiziert.1 In dieser Rezension haben wir deutlich gemacht, wie Michael Winterhoff althergebrachte Ideen der Schwarzen Pädagogik mit von ihm entwickelten, wissenschaftlich nicht belegten Thesen über mögliche Beziehungsstörungen verbindet, die das Kind letztlich als Tyrann identifizieren sollen. Als zentrales Element haben wir seine Haltung, auf dem Boden von Beziehungslosigkeit Beziehung zu erzwingen, herausgearbeitet. „Schwarze Pädagogik“ – so nennt Katharina Rutschky2 die Form der Erziehung im 19. Jahrhundert, wie sie in den Tagebüchern von Moritz Schreber ihren Ausdruck fand. Sie basiert vor allem auf der „Überzeugung, dass alles Recht auf seiten der Eltern und jede – bewusste oder unbewusste – Grausamkeit Ausdruck ihrer Liebe“3 ist. Im Wesentlichen bekämpft ein so Erziehender die eigenen unbewussten Impulse im Kind, „und es besteht für ihn kein Zweifel darüber, dass er seine Macht lediglich im Interesse des Kindes ausübt.“4
Hier soll es nun um die Frage gehen, was die Faszination solcher Ratgeber ausmacht und unter welchen Bedingungen ihre Wirksamkeit angelegt ist.
Allzu simple pädagogische Tipps
Die Art und Weise, auf die die Winterhoffschen Schriften am Markt eingeführt wurden, erscheint uns wie eine Analogie zu der Art, in der unsere Gesellschaft auf zunehmend hilflose und verunsicherte Eltern reagiert: Mit simplen pädagogischen Tipps. Und nicht nur das: Wir haben uns allmählich an Empfehlungen aus einschlägigen Fernsehshows wie „Die Supernanny" gewöhnt, wie Michael Winterhoff sie selber kürzlich in einer Fernsehsendung (Stern-TV am 14.01.09) demonstrierte: Zunächst wird eine bestimmte Erziehungskultur als fehlgeleitet und pathologisch diskreditiert. In Folge wird die Entwicklung unserer Kinder in dramatischer Weise aufgezeigt und schließlich die Rettung aus der Apokalypse versprochen, vorausgesetzt, die Eltern sind bereit, sich dem Ritual der angebotenen Schwarzen Pädagogik zu unterwerfen.
Wie kommt es aber, dass sowohl Eltern als auch gelegentlich Angehörige von Fachgruppen so empfänglich sind für derlei Ratschläge, die sie selber entmündigen, ja wegführen vom Kontakt und der Erfahrung echter zwischenmenschlicher Begegnung? Beängstigend ist, dass auch jenseits des oben beschriebenen trivialen Ratgebermarktes, also im Bereich durchaus ernstzunehmender Fachbücher, eine Tendenz zur Manualisierung, zu einfachen Handlungsanweisungen, zur Vereinfachung komplexer pädagogischer/psychologischer Wirkzusammenhänge zu beobachten ist. Verlangt werden nicht mehr persönlich entwickelte therapeutische Kompetenzen, sondern eine mehr oder weniger genaue Befolgung und Abwicklung eines Programms. Je komplexer unsere Welt wird, desto größer scheint die Sehnsucht nach einfachen Lösungen zu sein. Ob die Fülle dieser Manuale tatsächlich auch eine entsprechende Umsetzung erfährt, bleibt zum Glück zweifelhaft.
Bin ich genug?
Eine auf breiter Ebene sowohl bei Eltern als auch Fachleuten vorhandene Verunsicherung - das scheint uns eine Erklärung für den Erfolg derartiger Formate zu sein. Eine Erklärung, die so richtig wie allgemeingültig ist. Leben wir doch alle in einer Welt der Anomie, der verloren gegangenen Sinnzusammenhänge und sinnentleerten Traditionen. Allein: Der Verlust an Werten und Orientierung wird auch von konservativen Kritikern wie Bernhard Bueb oder Michael Winterhoff beklagt und sagt noch nichts darüber aus, welche Art der Anbindung uns wieder zu lebendigen und sicher handlungsfähigen Eltern und Erziehern werden lässt.
Unsicherheit im Umgang mit Anderen heißt zunächst und vor allem Unsicherheit in der Beziehung. Diese vom Einzelnen erlebte Beziehungsunsicherheit bildet sich ab in der Beziehung zum Kind; Grundlage jedoch ist der Zweifel an sich selbst. Dieser Zweifel ist es, der sich am Ende in Erziehungsunsicherheit äußert.
Selbstzweifel - zumal für Eltern - formuliert sich zumeist in der Frage: „Bin ich genug?" Diese Frage ist nicht gleichbedeutend mit der Frage „Leiste ich genug?", wird aber oft so beantwortet, als bezöge sie sich auf unzureichende Leistungen. Es ist vielmehr die Frage: „Werde ich geliebt, so wie ich bin?" Und damit einhergehend: „Kann ich mich zumuten, so wie ich bin?" Ich traue mich nicht, zu sein wie ich bin, wenn ich die Erfahrung nicht habe machen können, damit genug zu sein (damit geliebt zu werden).
Exkurs: Bin ich genug? Dies ist auch eine therapeutische Frage!
Analoge Fragestellungen finden wir allenthalben in Fachkreisen von psychotherapeutisch arbeitenden Menschen, insbesondere solchen, in deren Arbeit die „heilsame Begegnung in der psychotherapeutischen Beziehung"5 im zentralen Fokus steht. „Der Psychotherapeut bietet Menschen, die nicht (nur) bei Medikamenten Hilfe suchen, sondern bei einer Person, die bereit ist, ihre innere Welt in seine eigene aufzunehmen, klinische Unterstützung an, in erster Linie in Form von Gesprächen"5 Die Analogie liegt auf der Hand: Beziehungsorientiertes Arbeiten verfolgt dem Ziele nach das gleiche Ideal wie die oben genannten Eltern und Fachleute, und scheitert an ähnlicher Stelle, nämlich da , wo wir mit der Endlichkeit unserer persönlichen Wirkfaktoren konfrontiert sind. Wo wir den Zweifel erleben, die Frage: Bin ich genug?
Dieser Zweifel ist in seiner Art viel früher in uns angelegt als das später in der Ausbildung erworbene therapeutische Wissen um die heilende Wirkung von personaler Begegnung Diese Skepsis hat ihren individuellen lebensgeschichtlich bedingten Hintergrund und ist nicht allgemeingültig und nicht durch Manuale aus der Welt zu schaffen. Was macht uns so unsicher, uns, die wir nichts weiter als die personale Beziehung und uns als Person haben, um auf Veränderung und Wachstum vertrauen zu dürfen? Dies, obgleich wir genau wissen und täglich die Erfahrung machen, wie kraftvoll dieser Ansatz ist und obgleich die Wirkungsforschung längst nachgewiesen hat: Beziehung heilt!
Was die Gewichtung betrifft, steht die Erfahrung einer heilsamen persönlichen Begegnung im Vergleich zu unserer Gesamtbiographie mit all den früheren Erfahrungen von bedingter Wertschätzung, heteronomer Wahrnehmung und den induzierten Zweifeln an den eigenen organismischen Prozessen stets hinten an. Wir freuen uns, wenn wir diese Erfahrung in Workshops und Selbsterfahrungsgruppen immer wieder neu machen dürfen. Ihre Halbwertszeit ist aber eben vergleichsweise gering und wird immer wieder von den entwicklungsgeschichtlich früher angelegten Vorstellungen von Machbarkeit durch Autoritäten und Expertentum korrumpiert.
Schmid6 beschreibt die gegenläufigen Prozesse der verschiedenen Möglichkeiten von Kompetenzentwicklung folgendermaßen: „'Experten' bringen ihre Fähigkeiten ins Spiel (sie erlernen Fähigkeiten von außen und erlangen dadurch Selbstvertrauen). Personen bringen sich selbst ins Spiel (sie erlernen Selbstvertrauen und ‚ent-wickeln' dadurch ihre inneren Fähigkeiten)."
Intuition und Achtsamkeit
Auch Autoren wie Michael Winterhoff fordern die Rückkehr der Intuition in die Erziehung, ohne dass er genauer beschreibt, was er damit meint und wie sich diese Intuition im Erziehungsprozess äußern könnte. Womöglich kommt aber hier genau diese Sehnsucht nach Kontakt zum eigenen prozesshaften Erleben zum Ausdruck. Sie wird allerdings mystifiziert und umgedeutet und unmittelbar in pragmatisches Handeln gewendet. Häufig leider in ein Handeln, das den Zugang zu jeglicher Form von Achtsamkeit im bestem Sinne vermissen lässt - Achtsamkeit, dass hieße ein Gewahrsein meiner selbst wie auch des Gegenübers, und somit selbstverständlich in Verbindung stehend mit Achtung und Respekt vor dem Gegenüber.
Dieser pragmatische Handlungsweg entwertet somit jegliche Ahnung von Achtsamkeit unmittelbar und macht gerade den Umgang mit ihr so unachtsam. Es macht nämlich einen Unterschied, ob ich meine vermeintliche Intuition nutze, um daraus pädagogisch oder interventionistisch zu handeln oder ob ich aufgrund meiner Intuition oder sagen wir jetzt besser aufgrund meines Zuganges zu meinem inneren Erleben verstehe.
Hier scheidet sich, ob ich den Ruf nach Intuition und Verwurzelung im Dienste einer reaktionären Pädagogik missbrauche, ob ich die Entdeckung der Achtsamkeit im Dienste einer Methodenoptimierung instrumentalisiere, oder ob Achtsamkeit und die Wahrnehmung für die inneren Prozesse die Stufen sind auf dem Weg hin zur „stillen Revolution"7
Von der Suche nach der Schuld hin zur Suche nach dem Sinn
Ambivalenz gehört zum Alltag zwischenmenschlichen Lebens, ganz besonders im Umgang mit Kindern. Idealentwürfe von Elternrolle und Kinderrolle sind damit schwer vereinbar und führen zu Inkongruenzen, die sich nicht selten in Form von Schuldgefühlen zu erkennen geben, „...die latenten aggressiven Gefühle werden ständig mehr und das Zusammenleben mit den Kindern wird immer seltener Quelle der Freude, sondern erhält immer mehr den Charakter einer Pflicht..."8 „Das ist die Situation, in der viele Eltern zur Erziehungsberatung kommen.", fügt Günther Bittner9 hinzu, „wir können auch sagen, wo der Kontakt zum Kind aufgrund des Inkongruenzerlebens verloren gegangen ist und der Kontakt zum Experten gesucht wird, der den Eltern die Schuldgefühle nehmen soll."
Michael Winterhoff betont in seinen Schriften oft genug, dass es ihm nicht darum gehe, Eltern schuldig zu sprechen für die von ihm beschriebenen Fehlentwicklungen in der Erziehung. Allein - die Schuldzuweisungen sind unvermeidlich: Wenn man weiß, wie es richtig geht, dann sind die Anderen zwangsläufig diejenigen, die es falsch machen. Bin ich ein Wissender, ist, wer sich auf mich einlässt, ein Unwissender. Die Ankündigung und die Darstellung der Katastrophe und der prekären gesellschaftlichen Entwicklung, gehört zum Auftreten und zur Rolle alttestamentarischer Propheten. Will ich mich nicht länger unwissend, schlecht und schließlich schuldig fühlen, muss ich mit dem Wissenden paktieren, mich seiner Macht unterwerfen, um Erlösung zu erlangen. Experten dieses Schlages sind also gleichermaßen Repräsentanten wie Nutznießer dieser Unsicherheit. Sie nutzen bereits vorhandene Gefühle von Schuld als Einstieg und Möglichkeit, eine begonnene Inkongruenzentwicklung weiter in Richtung Abspaltung und Fragmentierung zu treiben, denn erst wenn Eltern aufgegeben haben, Hüter der guten Anteile ihrer Kinder zu sein, kann diese Art von „Erziehungsberatung" greifen.
Die Eltern überantworten sich und ihre Kinder den Experten um den ausgesprochen hohen Preis, sich selber nicht länger - ja an keiner Stelle mehr - als Experten zu erleben. Und noch nicht einmal die Gefühle von Schuld und Ungenügen werden gelöst, wenn sie sich einfachen Lösungsstrategien unterwerfen. Im Gegenteil: Eltern, die ja auch Hüter der guten, soll heißen authentischen Anteile ihrer Kinder sind, werden gezwungen, sich und diese guten Anteile im Kinde zu verraten. Es geht letztlich nur noch um „Fehlverhalten", um Anpassung an eine nicht definierte Norm. Mehr oder weniger deutlich spüren Eltern, dass sie an dieser Stelle etwas Heiles und Bedeutsames, nämlich die Möglichkeit zur Selbstentfaltung und Selbstakzeptanz des Kindes opfern. Ebenso spüren sie die ihnen mit Gewalt auferlegte Distanz zum Kind und die damit unterbundene Entwicklung von für die Selbstentfaltung unabdingbaren Interaktionserfahrungen. Hier erfolgt eine Spaltung, ein Verrat am Selbst und damit eine unbewusste Vertiefung in die Verstrickung von Schuld. Der Verrat am Selbst bewirkt ein Gefühl von Schuld, auch wenn er gerade dem Wunsch entspringt, durch die Orientierung an der fremden Autorität Schuld abzuwehren. Heils- und Erlösungsversprechen bedienen genau diese Gefühle innerster Inkongruenz in Eltern, lassen sie sich schuldig fühlen, lassen Zweifel an der eigenen Intaktheit aufkommen und nach Heilung von außen verlangen. Ratgeber à la Winterhoff und Co. verschaffen sich ihren Eintritt nur auf der Basis der Entwertung. Zwischen Eltern und Experten entsteht zwangsläufig ein stillschweigendes Einverständnis darüber, nicht zu genügen: „Du kannst es nicht, ich kann es besser. - Aber, wenn du willst, dann helfe ich dir... - Ich habe das Rezept, das dir hilft, wenn du dich unterwirfst." - Dies bringt die Eltern auf den Weg in eine ausweglose Selbstverleugnung. Die Eintrittskarte ist das Aufgeben der eigenen Kompetenz.
Verborgenen Sinn erkennen - Sprache finden - Beziehung wagen
Grundlage einer humanistisch geprägten Erziehungsberatung ist ebenso wie für die Psychotherapie die Hermeneutik. Ein Kind oder die Eltern in ihrem Bezugsrahmen zu verstehen heißt, nicht nur das jeweilige Verhalten zu verstehen, sondern das Kind und seine Eltern in ihrem Sosein. Verstehen, das heißt, den verborgenen Sinn erkennen, der sich im Kontakt mit dem Anderen abbildet. Verstehen heißt zu Erkennen, was das Verhalten und Fühlen und Denken der Eltern und der Kinder für einen Sinn hat. Und selbstverständlich, damit einhergehend, zu akzeptieren und anzuerkennen, dass es einen Sinn hat.
Ein solches Verstehen verändert den Bezug der Eltern zu sich selbst und zum Kind. Ohne Verstehen, ohne Anerkennen des verborgenen Sinns ist keine echte Begegnung möglich: „The meaning of deprivation is a deprivation of meaning" schrieben schon 1962 Robert Hess und Virginia Shipman.10
Wenngleich auch Robert D. Hess und Virginia Shipman ihr obiges Bonmot auf die Entwicklung von Sprach- und Kommunikationskompetenz bezogen, ist eben die Bedeutung weitaus umfangreicher: Erlebt ein Kind, dass es verstanden wird, erlebt es sich selber als Träger von Sinn, als handlungskompetent, also als bedeutsam. Die Wertschätzung für das Kind ist folglich eine Zuschreibung von Bedeutsamkeit. Eltern in ihrer Ambivalenz (zwischen Kompetenz und Inkompetenz, zwischen ihren Gefühlen von Wut und Liebe) zu verstehen heißt ebenfalls, ihre Ambivalenz wertzuschätzen, ihnen in ihrer Ambivalenz Sinn zuzugestehen. Eine eilige Auflösung dieser Spannung in Richtung eines „richtigen Rats" birgt immer auch die Gefahr, aller Konfusion und aller Unsicherheit den Sinn abzusprechen und somit auch der Person, die diese Ambivalenz in sich trägt.
Abkehr von der Sinnhaftigkeit - dies ist das Resultat vieler vereinfachender Erziehungsratgeber - beinhaltet in ihrer Konsequenz die Abkehr vom Verstehen-Wollen. Ein solches Verstehen-Wollen beinhaltet die Anerkennung, dass „die seelische Tiefenwirkung von Papa und Mama letztlich unangetastet „ bleiben muss. „In liebevollen und konfliktreichen Beziehungen zu den Eltern erwerben Kinder ihre sozialen und kommunikativen Fähigkeiten, in der Familie werden die elementaren Prägungen erworben - oder sie fehlen ein Leben lang"11
Es gilt also, den Sinn des Ungeliebten, Unwillkommenen, Störenden zu achten, zu finden und einander verstehbar zu machen. Im Letzten bedeutet dies: Im Wissen um unsere Begrenztheit die Begegnung mit der Sinnhaftigkeit zu ermöglichen. Und darin neue, kreative und individuelle Lösungen zu finden - jenseits einfacher Patentlösungen, die immer nur halbe Lösungen sein können. Immer wieder deutlich zu machen, dass Menschen keine Automaten sind, bei denen man Teile austauschen kann und dann funktionieren sie wieder störungsfrei. Menschen sind zeitlebens Sinnsucher, das Einzige, was uns stets bleibt, ist die permanente Veränderung. Menschen bei ihrer individuellen Sinnsuche situationsflexibel zu unterstützen - darin liegt das Wesen und die Stärke personzentrierter und beziehungsorientierter Erziehungsberatung und Psychotherapie. Darin und im Erhalt humanistischer Grundhaltungen, die uns Menschen seit Jahrhunderten zu hoch entwickelten Wesen machen - und die Carl R. Rogers und seine Nachfolger stets im Sinne des friedlichen Miteinanders weiterentwickelt haben.
1Andreas Renger, Gudrun Schuster: Im Rückwärtsgang in die Schwarze Pädagogik Autorentext www.gwg-
ev.org 2008
2Katharina Rutschky: (Hrg.): Schwarze Pädagogik Berlin: Ullstein 1977
3Alice Miller: Am Anfang war Erziehung Frankfurt: Suhrkamp 1980 S. 19
4dies. S. 20
5Peter Fonagy/ György Gergely/ Elliot L. Jurist/ Mary Target: Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst Klett Cotta 2004 3.Auflage2008 S.9
6Peter F. Schmid: Personale Begegnung Würzburg: Echter 1995 S.28
7ders. S. 90
8Helmuth Figdor: Aufklärung, verantwortete Schuld und die Wiederentdeckung der Freude am Kind. In: Wil-fried Dattier, Helmuth Figdor, Johannes Gstach: Die Wiederentdeckung der Freude am Kind. Gießen: psychoso-zial 1999 S. 52f
9Günther Bittner: Müssen wir unsere Arbeit neu denken? In: Informationen für Erziehungsberatungsstellen 1/08 S. 22
10Robert D. Hess & Virginia.C. Shipman: Early Experience and the socialization of cognitive modes in children. Child Development 36, 1965 S. 885 zit. nach Manuela Ullrich: Wenn Kinder Jugendliche werden. Juventa 1999 S.43
11Wolfgang Bergmann: Das Drama des modernen Kindes - Hyperaktivität, Magersucht, Selbstverletzung. Patmos 2003 S. 201 ff
Andreas Renger
Seit 1988 Leiter einer Familien-, Ehe- und Lebensberatungsstelle,
Personzentrierter Psychologischer Psychotherapeut,
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Familientherapeut und Paartherapeut
in freier Praxis seit 1994
Vater von 4 Kindern
Familien-, Ehe- und Lebensberatungsstelle der Stadt Niederkassel
Annostraße 1
53859 Niederkassel
02208 / 73 77 4
Gudrun Schuster
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin (TP) in eigener Praxis
Gestalttherapeutin,
Traumatherapeutin (EMDR)
Von 1988 – 2006 Tätigkeit in einer kommunalen Beratungsstelle
Mutter von 4 Kindern
Am Bungert 2a
53797 Lohmar
02246 / 92 52 69
Freitag, 3. April 2009
Psychologische Privatpraxis Dipl.-Psych. Andreas Renger Tel.: 02 28 - 47 90 09